Sportunterricht an der FSA

Zum Sportunterricht in Depekolk


Seit vier Jahren berichte ich in diesem Rundbrief immer mal wieder über sportliche Aktivitäten und Erfolge von Schülerinnen und Schülern: Herbst-
cross in Kakerbeck, Schwimmspiele in Salzwedel und so weiter. Bei einigen Eltern habe ich damit auch Skepsis geweckt: Wie leistungsorientiert oder gar
medaillenorientiert finden Sport und Bewegung in Depekolk statt? Passt das überhaupt zur reformpädagogischen Ausrichtung? Mich hat dies zu einigen Reflexionen veranlasst, an denen ich euch teilhaben lassen möchte.


Zunächst: Außerschulische Turniere und Wettkämpfe, die allermeist Gegenstand meiner Sportbe­richterstattung waren, spiegeln nicht den schulischen Alltag in unseren Sport-Angeboten wieder! Das sind zwei Paar Schuhe. Jedoch: Für den Sport sind Wettkämpfe das, was eine Ausstellung für die Kunst, ein Konzert für die Musik, eine Aufführung für das Schauspiel ist: ein besonderer Höhepunkt, das Salz in der Suppe. Es gilt jedoch auch: Nicht jeder Mensch (jedes Kind) ist ein „Wettkampftyp“. (Genauso wenig, wie jedes Kind, das ein Instrument lernt, gerne vor Publikum
vorspielt . . .). Einige meiner Schüler und Schülerinnen freuen sich auf jedes Turnier, das ich ihnen anbiete; sie sind „heiß“ auf die Herausforderung. Andere kann ich bitten und einladen, so viel ich will: Sie wollen einfach nicht. Letzteres sind meist Mädchen, die sich ihrer eigenen Sportlichkeit und Leistungsfähigkeit gar nicht richtig bewusst sind. Ich traue ihnen viel mehr zu, als sie sich selbst. Ich versuche mich dann in Ermutigung, manchmal sogar erfolgreich, und dann freue ich mich viel mehr über den Zugewinn an Mut und Selbstvertrauen als an irgendeiner sportlichen Leistung. Eine ehemalige Schülerin formu­lierte es in einemAbschiedsbrief wie folgt: „Ich habe von dir gelernt etwas zu schaffen, wo man sich gedacht hat, es wäre unschaffbar. Du hast mir Mut gemacht!“

Aber wie gesagt, die gelegentlichen Turniere und Wettkämpfe finden abseits des schulischen Alltags statt. Letzterer ist geprägt von den verschiedenen Sport- und Bewegungsangeboten, die vor allem Ralf und ich, immer wieder aber auch Elizabeth oder „externe Kräfte“ anbieten. Jeder Pädagoge hat dabei natürlich einen eigenen Stil und eigene Schwerpunkte. An dieser Stelle in Einzelheiten zu gehen, würde den Rahmen sprengen. Stattdessen verweise ich auf die Möglichkeit einer Hospitati­on. Unter dem Strich resultiert eine beachtliche Vielfalt sportlicher Anreize: Tanz, Turnen, Floor­ball, Prellball, Stockkampf, Akrobatik, Schwimmen, Ringen und vieles mehr. Die Angebotsteilnahme erfolgt freiwillig. Manche Kinder besuchen sehr regelmäßig Sport-Angebo­te, manche Kinder ziemlich selten. Manchmal denken wir über Wege nach, auch den „Sportmuf­f eln“ wenigstens ein Minimum an
schulsportlicher Betätigung abzuverlangen. Spruchreif ist da aber gerade nichts. Übrigens ist das seltene Auftauchen in den Sportangeboten kein zuverlässiger Hinweis auf Unsportlichkeit! Im Gegenteil: Unter unseren „Sportmuffeln“ verbergen sich zum Teil ganz schön sportliche Typen, denen aber immer eines der parallel stattfindenden Angebote (Werken, Garten, Handarbeit usw.) wichtiger ist. Und umgekehrt setzt sich die „Stammkundschaft“ der Sport­angebote nicht nur aus den athletischsten Bewegungstalenten der Schülerschaft zusammen, sondern aus einem breiter gefächerten Mix. Bei Sportspielen gibt es häufig Gewinner und Verlierer. Das ist schon beim Pausenfußball so. Bei den meisten Sportarten lassen sich Leistungsunterschiede mit bloßem Auge erkennen. Sie sind nicht nur für Beobachter offensichtlich, sondern auch für die sportlichen Akteure selbst. Ob beim Tisch­tennis, beim Ringen oder beim Fangen-Spiel: Die Akteure erhalten aus der sportlichen Aktivität heraus ziemlich direkt Rückmeldung darüber, ob sie schneller, geschickter, erfolgreicher sind als andere Teilnehmer. Beim Sport
lässt sich nicht verbergen, dass wir Menschen alle unterschiedlich sind! Doch wie umgehen mit dieser Unterschiedlichkeit?


In meiner Idealvorstellung lernen die Kinder in Depekolk, die Unterschiedlichkeiten gelassen und selbstbewusst anzunehmen. Soll heißen: Ich darf mein Bestes geben, auch wenn andere besser sind. Ich habe nichts zu befürchten, wenn ich etwas (noch) nicht so gut kann. Ich darf mich zeigen, so wie ich gerade bin. Ich freue ich, wenn mir etwas gelingt, und andere freuen sich mit mir. Ich akzeptiere, wenn ein anderer besser ist, denn ich weiß, dass jeder seine Stärken und seine Schwä­chen hat, auch ich. Ich bin bereit, mit jedem und jeder in einem Team zu spielen. Ich gebe mein Bestes, auch wenn ich voraussichtlich nicht gewinnen werde, denn die Bewegungsfreude und das faire Miteinander stehen im Mittelpunkt.


Manchmal erscheint mir der Sport als ein Mikrokosmos, in welchem sich die Themen des Lebens wie mit einem Brennglas vergrößert beobachten lassen.
Denn natürlich stellt sich die Frage nach dem Umgang mit Unterschiedlichkeit lebenslang in allen möglichen Bereichen des Lebens. Und selbstverständlich auch in den anderen schulischen Feldern (Lesen, Schreiben, Rechnen…), denn dort offenbaren sich dieselben Unterschiede in Begabung, Vorerfahrung und Übung wie im Sport.


Ich möchte in keinen philosophischen Diskurs über Sinn und Unsinn des Sich-Vergleichens mit anderen einsteigen. Ich beobachte schlicht, dass es Kinder tun! (Und seien wir ehrlich: Auch wir Erwachsenen vergleichen uns immer mal wieder mit Bekannten, Kollegen, . . .) Kinder verglei­chen ihre Körpergrößen, ihre Ins-Bett-geh-Zeiten, ihr Taschengeld, ihre Konsumgewohnheiten und sonstigen Verhaltensweisen. Und natürlich bemerkt Erstklässlerin A nach einer gewissen Zeit messerscharf und womöglich schmerzlich, dass ihre Freundin B das Buchstabenheft mit offensicht­licher Leichtigkeit bearbeitet, während sie selbst sich schwertut und kaum voran kommt. Ich behaupte: Jedes Schulkind verfügt über eine aus Beobachtungen, Erfahrungen und Vermutungen abgeleitete Selbsteinschätzung, vor allem im Vergleich zu Mitschülern. Und hier setzt wichtige pädagogische Arbeit an: Wertschätzung für das Erreichte, aber auch Wertschätzung ganz unabhän­gig von einer Leistung; Erfolgserlebnisse, „Stärken stärken“, aber auch Hilfestellung und Ermuti­gung in „schwächelnden“ Bereichen . . . Ich mache diese Arbeit gerne, im Sport und darüber hinaus.


Henning